Scholz informiert – Mitsotakis verschweigt

Scholz trat beim EU-Gipfel nach seinem Amtskollegen Kyriakos Mitsotakis, mit dem er sich zum Einzelgespräch getroffen hatte, vor die Presse. Mitsotakis hatte den Panzerdeal in seinem Statement mit keiner Silbe erwähnt. Der Verteidigungsausschuss des griechischen Parlaments hatte ebenso wenig Kenntnis davon, wie sämtliche Oppositionsparteien. Schlimmer noch, die überrumpelte Opposition hatte bereits mehrfach im Parlament nach den Rüstungslieferungen aus Griechenland in die Ukraine gefragt, ohne konkrete Antworten zu erhalten.

Der zuständige Verteidigungsminister Nikos Panagiotopoulos hatte am 13. April im Parlament versichert, Griechenland werde keine weiteren Waffen in die Ukraine liefern. Denn, so Panagiotopoulos, würde das die Verteidigungsfähigkeit Griechenlands schwächen.

Was den Ringtausch für die Marder angeht, heißt es von der griechischen Regierung, dass die in griechischem Besitz befindlichen, modernisierten BMP – 1 Panzer geliefert werden, wenn die Marder in Griechenland an ihren Einsatzpunkten angekommen sind. Alles andere, würde die nationale Verteidigungsbereitschaft schwächen, wird von der Regierung erklärt.

Spannungen in der Ägäis

Griechenland ist in diesem Zusammenhang kein „normaler“ Staat, wie Tschechien oder Spanien, die aktuell keine Bedrohung an ihren Grenzen haben. Denn zwischen den NATO-Partnern Griechenland und Türkei gibt es – mal wieder – intensive Spannungen. Die Türkei besteht auf einem Forderungskatalog, der unter anderen die Demilitarisierung griechischer Inseln beinhaltet. Das griechische Außenministerium hat auf die Spannungen unter anderem mit der Veröffentlichung der türkischen Forderungen seit 1973 reagiert.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock wurde in der vergangenen Woche in Athen und Ankara erwartet. Sie sollte die beiden Parteien im Konflikt beschwichtigen, musste aber wegen ihrer CoVid-Infektion absagen.

Scholz reiste nach dem EU-Gipfel aus diesem Grund extra nach Thessaloniki, um dort am 10. Juni sowohl der Balkan-Konferenz beizuwohnen als auch Premierminister Mitsotakis seine Solidarität zu bekunden. Dabei stellte der Bundeskanzler seinen Amtskollegen unwillentlich erneut bloß.

Denn Scholz versicherte, gemäß der Zeitung EfSyn vor seiner Abreise aus Berlin,

dass Deutschland in Zusammenarbeit mit vielen anderen Partnern einen Ringtausch beschlossen hat, mit der Lieferung von in diesen Ländern verfügbaren und sofort einsetzbaren Panzern aus russischen und sowjetischen Beständen und sofort verfügbarer Munition. Wir helfen diesen Ländern mit modernsten Waffen, mit zeitlicher Verzögerung, weil nicht alles so schnell umgesetzt wird.".

Er fügte, laut den griechischen Medien hinzu:

mit Tschechien haben wir bereits ein konkretes Abkommen geschlossen und sind in intensiven Gesprächen. Ich habe eine politische Vereinbarung mit dem griechischen Ministerpräsidenten getroffen, entsprechende Gespräche werden folgen."

Was nichts anderes bedeutet, als dass Mitsotakis beim EU-Gipfel in Brüssel versprochen hat, die BMP – 1 umgehend zu liefern und auf die Ersatzwaffensysteme vom Typ Marder zu warten. Deutsche Medien, wie die Bild berichten derweil dass aktuell fünf Marder von Rheinmetall einsatzbereit gemacht wurden. Die übrigen sollen folgen.

Erste Marder seien fertig, erfahren die Leser eines Berichts des Tagesspiegels. Konkrete Zahlenangaben fehlen hier, jedoch sind es offensichtlich keineswegs genug, um die BMP – 1 Griechenlands zu ersetzen. Das griechische Militär setzt mehr als 100 Marder auf den griechischen Inseln ein.

Verteidigungsminister gegen eigenes Militär

Für die griechischen Oppositionsparteien stellt sich die Sachlage so dar, dass die Regierung im Streben, ihre Bündnistreue zu demonstrieren, das eigene Militär schädigen würde. Bei der Sitzung des Verteidigungsausschusses in der vergangenen Woche kam es deshalb zu tumultartigen Szenen im Parlament.

Auf Wunsch der Regierungspartei Nea Dimokratia wurde die Sitzung öffentlich abgehalten und live übertragen. Verteidigungsminister Panagiotopoulos erklärte, ohne konkrete Angaben, dass keine der Lieferungen das Militär schwächen würden und alle nur aus Beständen aus den der Einsatzreserve untergeordneten Lagern erfolgen würden.

SYRIZA, als größte Oppositionspartei, stellte den Antrag, die Übertragung zumindest einige Minuten zu unterbrechen und die Öffentlichkeit kurz auszuschließen, was die Regierungspartei mit ihrer Mehrheit verweigerte.

Daraufhin stellte der Abgeordnete von SYRIZA Giannis Bournous dem Verteidigungsminister die Frage, wie er behaupten könne, dass die Waffen- und Munitionslieferungen nur aus Lagern dritten Ranges vom Festland erfolgen würden, wenn Militärs auf der Insel Lesbos erzählen würden, dass ihre Lager an der Frontlinie zur Türkei leergeräumt würden. Bournous bezog sich konkret auf Stinger-Raketen und Granaten.

Panagiotopoulos geriet außer sich. Im Parlament verkündete er in lautem Ton, dass das Militär „durchlässig wie ein Schweizer Käse“ sei und dass er gegen das Offizierskorps konsequent wegen des Geheimnisverrats durchgreifen würde. Auch Bournous sieht sich dem Vorwurf des Vaterlandsverräters ausgesetzt und erhält Morddrohungen.

Die Nerven liegen blank in Griechenland. Die Militärs fühlen sich vom eigenen Minister angegriffen und zum Sündenbock gemacht. Regierungsnahe Medien sind in der Hysterie um das Säbelrasseln in der Ägäis so weit, Seenotretter wie den mehrfach ausgezeichneten Iason Apostolopoulos namentlich als Verräter zu bezeichnen. Die Medien übernehmen dabei die Rhetorik des Regierungssprechers, der Apostolopoulos angriff, weil dieser öffentlich über die illegalen Pushbacks von Flüchtlingen an der griechisch-türkischen Grenze spricht.

Ein Thema, welches von Medien wie Der Spiegel und dem britischen Guardian alles andere als geheim gehalten wurde und das schon Ende April zur Ablösung des Direktors der EU-Grenzschutztruppe Frontex Fabrice Leggeri geführt hat.

In Griechenland herrscht Kriegsangst. Und diese befeuert den Nationalismus und die Angriffe von Regierung und Regierungsanhängern gegen jede Opposition. Viele fürchten, dass es mit der Türkei zu einem bewaffneten Konflikt kommen könnte, zumal der türkische Präsident seine Forderungen an Griechenland mit offenen Drohungen einer Invasion unterstreicht. Erdogans Reden sind in diesem Zusammenhang im Vergleich mit denen führender türkischer Oppositionspolitiker eher moderat als aggressiv.

Es ist ein wahrlich schlechter Zeitpunkt, um Griechenland in den Ringtausch zu involvieren.

Was wissen wir über die griechischen BMP-1?

Griechenland hatte in den Neunzigern 501 BMP-1 aus den Beständen der NVA übernommen. Hergestellt wurden die BMP-1 des griechischen Heers von 1966 bis 1976. Das Heer besitzt auch BMP-1P Modelle aus den Jahren 1979-1983.

Rund 100 davon wurden ab Mitte der 2010er Jahre modernisiert, mit neuer Bewaffnung ausgestattet und werden zur Befestigung der Inseln der Ost-Ägäis eingesetzt. Die übrigen, noch in Beständen der griechischen Armee befindlichen BMP-1 sollen laut der griechischen Regierung in den Lagern des Militärs vor sich hin rosten.

2005 wollte die damalige griechische Regierung unter Kostas Karamanlis von der Nea Dimokratia die 501 BMP-1 an die irakische Armee übergeben. Auch damals sollten sie durch Marder ersetzt werden. Der Deal platzte. Schließlich übernahm der Irak 100 Panzerfahrzeuge, 50 wurden von der griechischen Armee zur Ersatzteilbeschaffung zerlegt.

Der rechtspopulistische Koalitionspartner von Alexis Tsipras, Verteidigungsminister Panos Kammenos verkaufte 2016 nach Ägypten 92 BMP-1A1. Sie wurden mit 196 US-Panzerfahrzeugen vom Typ M-113A2 ersetzt. Der Verkauf der Panzer nach Ägypten wurde 2017 vollendet. Er bescherte dem Heer Einnahmen in Höhe von 3,5 Millionen Euro.

Die sowjetischen Fahrzeuge gelten in griechischen Militärkreisen als Todesfallen. Ihr Einsatz auf den griechischen Inseln dient dazu, mehr Feuerkraft vor Ort zu haben. Diese, für die Soldaten menschenverachtende Taktik wird aktuell wegen des Ringtausches öffentlich diskutiert. So erfahren die Griechen nebenbei, dass die Regierungen Wehrpflichtige schlicht als potentielles Kanonenfutter sehen.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Im Text erfahren die Leser wieso der Ringtausch von Panzerfahrzeugen für die Ukraine mit Griechenland stockt. Zudem wird erklärt, warum der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz in Griechenland eine Krise für seinen Amtskollegen ausgelöst hat.

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